Materialkunde Lederalternativen: pflanzliche und synthetische Lederimitate

Nicht nur Veganer wissen es längst: Leder* ist nicht das einzige Material, in das man seine Füße stecken kann. Mittlerweile gibt es etliche Alternativen zur Tierhaut. Am weitesten verbreitet sind synthetische Kunstleder. Doch auch die bekommen zunehmend Konkurrenz und zwar aus der Botanik. Die Entwicklung immer neuer Verfahren, um aus Pflanzenfasern lederartige Materialien herzustellen, schreitet voran. Oft reichen diese sehr nah an das Original heran oder übertreffen es gar. Die Alternativen auf nachwachsender Basis sind nicht nur tierfrei, sondern zugleich umweltverträglich und ressourcenschonend.

* Als Leder darf nur tierische Haut bezeichnet werden. Synthetische und pflanzliche Alternativen dürfen nicht als Leder deklariert werden; erlaubt ist jedoch der Begriff Kunstleder.

Lederalternative beschichtete Kunstleder: Vor- und Nachteile von Plastik

Mit synthetischen Lederimitaten assoziieren wahrscheinlich die meisten von uns die typischen „Plastikleder“. Aus Kunststoff ist jedoch nur die obere Schicht – dafür kommen entweder Weich-PVC oder Polyurethan („PU-Lederimitat“) zum Einsatz. Beschichtet werden damit textile Trägergewebe aus Chemie- oder Naturfasern. Kunststoffleder lassen sich leicht bearbeiten und sind vielseitig einsetzbar – in Konkurrenz zu Echtleder zieren sie Polstermöbel, Autositze, Schuhe, Taschen und vieles mehr. Hochwertige Leder-Alternativen können dabei die Struktur von Leder täuschend echt kopieren.

Lederalternative Mikrofasern: Der bessere Kunststoff?

„Micronappa“, „Microsuede“ oder „Ultrasuede“ sind Bezeichnungen für synthetische Lederimitate aus Mikrofasern. Das können zum Beispiel Polyamid, Nylon, Polyester oder Polyurethan sein, die oftmals auf einem Baumwollgewebe verwoben sind. Wie beschichtetes Kunstleder lassen sich Mikrofasern zu Stoffen mit unterschiedlicher Optik und Haptik verarbeiten und bieten viele Einsatzmöglichkeiten. Vorteil der Mikrofasern gegenüber Kunststoff-beschichteten Exemplaren: Sie sind weitgehend atmungsaktiv.

Ökologische Probleme von synthetischen Lederimitaten

Viele Hersteller produzieren synthetische Kunstleder und entsprechend schwanken diese – nicht nur in der Qualität, sondern auch unter Nachhaltigkeitsaspekten. Im Gegensatz zur Massenware aus Asien punktet beispielsweise der Mikrofaserstoff Alcantara mit klimaneutraler Verarbeitung in Italien. Dennoch haben Synthetiks einen ökologischen Nachteil: Für die Produktion der verwendeten Chemiefasern ist Erdöl und eine Menge Energie notwendig. Die Entsorgung der Kunstleder ist ebenso problematisch: Sie sind nicht biologisch abbaubar und gesellen sich somit zu den vielen tausend Tonnen Plastikmüll. Außerdem können die Produkte Weichmacher und Lösungsmittel enthalten. Eine umweltfreundlichere Alternative sind synthetische Leder aus recycelten Kunststoffen. Noch besser ist Upcycling: So erhalten alte Fahrrad- und Autoreifen ein zweites Leben als Schuhe oder Taschen.

 

Links eine liegende Ananas, rechts eine Stiefelette, in der Ananasblätter und eine Uhr stecken, dahinter liegt eine Handtasche
Nachhaltig und stilsicher: Schuhe und Accessoires aus „Ananasleder“

Lederalternative Ananas: Schuhe und Autositze aus Ananas-Blättern

Bei der Ananas-Ernte enden die Blätter der gelben Frucht gewöhnlich als Abfall. Die Spanierin Carmen Hijosa hat daraus einen Lederersatz namens Piñatex® entwickelt. Für einen Quadratmeter „Ananasleder“ braucht es die Blätter von rund 16 Ananas. Auf den Farmen einer philippinischen Bauern-Kooperative gibt es genug davon. Hier werden nach der Ernte die Fasern aus den Blättern extrahiert und zu einem stabilen Vlies verarbeitet – für die Ananas-Bauern eine zusätzliche Einnahmequelle.

In Spanien erfährt das Vlies eine Veredelung. Das Ergebnis: Piñatex® ist weich und flexibel, dennoch strapazierfähig und mit besonderer Textur. Kein Wunder, dass immer mehr Designer das Material für ihre Schuh- oder Modekreationen ordern und selbst Autositze und Polstermöbel damit einkleiden. Ein kommerzieller Erfolg, der auch nachhaltig ist. Als Nebenprodukt der Ananas-Ernte verbrauchen die Blätter keine zusätzlichen Ressourcen. Zudem kommt die bei der Vlies-Herstellung übrigbleibende Biomasse als Dünger oder Biogas zum Einsatz.

Lederalternative Eukalyptus: Eukalyptus-Blätter zum Umschnallen

Noch mehr Grünzeugs: Das Unternehmen Noani verwendet die Fasern aus Eukalyptus-Blättern. Sie sind die Hauptzutat einer kleinen aber feinen Gürtelkollektion, die Noani in Deutschland und Italien fertigen lässt. Doch warum ausgerechnet Eukalyptus? „Die Eukalyptusfaser hat ein unübertroffenes Festigkeitsprofil bei gleichzeitig äußerst geringem Einsatz von Energie und Wasser“, schreibt Noani. Die Blätter für das „Eukalyptusleder“ stammen laut dem Unternehmen aus nachhaltiger sowie gen- und pestizidfreier Forstwirtschaft. Zu einem kleinen Teil fließt auch recyceltes Polyester in das daraus entstehende Lederimitat ein.

 

Links Teakblätter, rechts eine Geldbörse
Die einzigartige Struktur der Teakblätter findet sich auch auf den Produkten wieder.

Lederalternative Teakblätter: Taschen, Geld- und Yogabeutel aus Teakblättern

Auch das ist möglich, wie Nuvi Nomad beweist. Das von der deutschen Designerin Nina Rössler gegründete Label bezieht das pflanzliche Lederimitat aus Thailand. Dort sammeln Bauern die Teakblätter im üppigen Wald rund um die thailändische Provinz Chiang Mai. Mit einer eigens entwickelten innovativen Technik und laut Nuvi Nomad ohne toxische Zusätze wird das Material bearbeitet und haltbar gemacht. Das so entstehende „NUVI RELEAF leather“ – „Teakleder“ – soll leicht, beständig, wasserresistent und sogar anti-fungal sein.

Lederalternative Apfel-Trester: Taschen aus Apfel-Resten

Äpfel sind nicht nur zum Essen da, man kann sie auch lässig über der Schulter tragen. Möglich macht dies ein kleines Schweizer Label, das stylishe Taschen aus Apfelresten kreiert. Neu ist das „Apfelleder“ nicht: Die Entwicklung geht zurück auf den italienischen Hersteller Frumat mit Sitz in Bozen. Von hier stammen auch die Äpfel für die Taschen – genauer gesagt der Trester, der bei der Apfelsaftherstellung anfällt. Dieser wird getrocknet und pulverisiert, Schicht für Schicht auf einen Canvas aufgetragen und anschließend geprägt, damit der Lederlook entsteht. Ein kleiner italienischer Familienbetrieb verarbeitet das „Apfelleder“ schließlich zu Handtaschen.

 

Links blaue Trauben, rechts ein Paar blaue Sneaker mit weißen Akzenten
So schön kann Resteverwertung sein: Aus Trauben-Trester entsteht eine authentische Leder-Alternative.

Lederalternative Trauben-Trester: Vegane Mode aus Weintrauben

Eine weitere Frucht hat die vegane Lederszene betreten: Die Weintraube. Die Gründer des italienischen Unternehmens Vegea haben einen Weg gefunden, aus den Resten der Weinproduktion Lederersatz herzustellen. Alles, was am Ende nicht in der Flasche landet – also der Trauben-Trester aus Stielen, Kernen und Schalen – kommt in die „Lederproduktion“. Das italienische Team, das für seine Erfindung etliche Preise gewonnen hat, kann sich damit aus einer schier unerschöpflichen Quelle bedienen: Denn bei der Weinproduktion fallen etwa sieben Milliarden Tonnen Trester jährlich an. In einem eigens entwickelten und patentierten Verfahren macht Vegea daraus einen Lederersatz, der seit Kurzem auch bei der eigenen Modekollektion zum Einsatz kommt.

Ananasblätter, Apfel- und nun auch Trauben-Trester: In landwirtschaftlichen Abfallbergen scheint ein großes Potenzial zu stecken. Gefördert durch die EU forscht Vegea daher an weiteren Möglichkeiten, Agrar-Abfälle für verschiedene Anwendungen nutzbar zu machen.

Lederalternative Obstabfall: Von der Mülltonne zur Mode

Auch in dem, was täglich an Lebensmitteln weggeschmissen wird, schlummert das Potenzial zum Lederersatz. Ein Rotterdamer Designer-Duo sammelt Obstabfälle und macht daraus „Fruitleather“ – wie sie ihre Kreation nennen. Dafür landet so ziemlich alles im Kochtopf, was die Obstschale hergibt: Orangen, Bananen oder Äpfel. Die jeweils entstehende Obstmasse wird danach getrocknet und zugeschnitten. So entsteht ein lederartiges Material, von dem man bisher nur Muster ordern kann. Noch tüfteln die Designer daran, das Material so weiterzuentwickeln, dass daraus auch robuste Schuhe, Handtaschen & Co. entstehen können.

 

Links die Rinde der Korkeiche, rechts Lederjacken aus Kork
Von der Rinde zur Jacke – Kork ist ein robuster und strapazierfähiger Ersatz für Leder.

Lederalternative Kork: Material mit ökologischem Mehrwert

Bodenbeläge, Flaschenverschlüsse: So kennen wir das aus der Rinde der Korkeiche gewonnene Material. Doch Klamotten aus Kork? Auch das geht. Michael Spitzbarth, Kopf des veganen Modelabels „bleed clothing“, hat tatsächlich eine „Leder“-Jacke aus Kork entwickelt. Und daraus lassen sich noch viele andere Dinge machen, wie die am Markt erhältlichen Produkte beweisen: Von Gürteln, Geldbörsen und Taschen bis hin zu Schuhsohlen und Schuhen ist alles dabei. Das hierfür verwendete Korkmaterial ist ein lederartiger, atmungsaktiver Stoff, der robust und widerstandsfähig ist.

Dafür fällt kein Baum. Genutzt wird nur die Rinde der hauptsächlich in Portugal beheimateten Korkeichen. Und die wächst immer wieder nach. Bis zu 15-mal können die Korkeichen im Laufe ihres Lebens „geschält“ werden. Die geerntete Korkschicht durchläuft mehrere Arbeitsschritte, bis sie am Ende auf ein Trägermaterial laminiert wird. „bleed clothing“ nutzt dafür beispielsweise GOTS-zertifizierte Bio-Baumwolle. Wer seinen Krimskrams oder gar sich selbst in das so entstehende „Korkleder“ hüllt, tut auch noch was Gutes für den Klimaschutz: Denn die Nachfrage nach Kork trägt zum Erhalt der Korkeichenwälder bei. Diese beherbergen viele Tierarten und binden jährlich über 14,5 Millionen Tonnen CO₂. Regelmäßig geschält, schlucken die Bäume sogar noch mehr von dem Treibhausgas.

Lederalternative Pilze: Wie Pilzfasern zu „Leder“ heranwachsen

Ein pflanzliches „Leder“ das zu beliebig großen Flächen heranwächst? Pilze machen es möglich. Die beiden amerikanischen Firmen Bolt Threads und MycoWorks stellen eine Lederalternative aus Myzelien, den Wurzelfasern von Pilzen her. Beide haben ihre eigene Version, das Prinzip ist jedoch gleich: Myzelien werden mit biologischen Abfällen wie Sägemehl oder Maisresten gefüttert. Schnell umwuchern Pilzfäden die Abfallkrümel und wachsen kreuz und quer zu einem festen Gewebe. In wenigen Wochen entsteht so ein großes Stück „Pilzleder“. Zum Vergleich: Eine Kuh würde hierfür jahrelang enorme Ressourcen verbrauchen.

Das „Pilzleder“ sieht aus wie tierisches Leder, soll weich und atmungsaktiv sein und zugleich robust und reißfest. Problemlos lässt es sich formen, färben und prägen. Trotz der Vorteile ist es aber noch eine Randerscheinung als Lederersatz und nur im Modebereich vereinzelt eingesetzt. Aus dem Lederersatz Mylo™ von Bolt Threads zum Beispiel macht die Designerin Stella McCartney Handtaschen. Was verblüffend ist: „Füttert“ man die Fäden des Myzels mit der richtigen Nahrung, können sie sogar zu Stein- oder Plastikersatz heranwachsen; gesehen bei Ecovative.

 

Links ein Zunderschwamm, rechts die Lederalternative daraus
Aus dem Wald in den Kleiderschrank: „Pilzleder“ aus Zunderschwamm

Lederalternative Schwamm: Ein Jahrhunderte altes Verfahren

Pilze scheinen ein unerschöpflicher Rohstoff zu sein: Aus dem Baumpilz Fomes fomentarius, bekannt als Zunderschwamm, lässt sich Lederersatz machen. Der Pilz besiedelt mit Vorliebe geschwächte Laubbäume und wächst dort zu einem dicken, knollenartigen Fruchtkörper heran. Unter seiner harten Schale versteckt sich das sogenannte Trama – ein Gewebe, das sich in Handarbeit zu einem „Pilzleder“ mit samtig weicher Haptik verwandelt lässt. Schon vor hunderten Jahren wurde das „Tramaleder“ vielseitig genutzt. In Rumänien ist die handwerkliche Zunderschwamm-Verarbeitung noch heute verortet. Von dort bezieht auch die Berliner Designerin Nina Fabert das Material für ihre Produkte wie etwa Portemonnaies und Basecaps.

Lederalternative Muskin: Noch ein „Pilzleder“

Ebenfalls ein Baumpilz bildet den Ausgangspunkt für die nächste Lederalternative. Der Phellinus ellipsoideus ist ein Parasit, der Bäume in subtropischen Wäldern befällt. Die italienische Firma Grado Zero Espace hat daraus einen Lederersatz entwickelt. Das Muskin genannte „Pilzleder“ entsteht, indem die Pilze in ein vorgegebenes Gewebe wachsen. Die Verarbeitung ähnelt dem Gerben von Tierleder – allerdings ohne Chemikalien. Muskin sieht wie Veloursleder aus, es soll jedoch viel weicher, atmungsaktiver, biegsamer und besonders für den direkten Hautkontakt geeignet sein. Bis jetzt gibt es noch keine fertig verarbeiteten Textilien aus Muskin, allerdings verkauft die Firma aus Florenz Muster des Materials.

 

Links Kombucha im Labor, rechts ein Mann mit Bikerweste von hinten
Aus der Laborküche auf die Haut: Feines Obermaterial aus Kombucha

Lederalternative mikrobiologische Zellulose: Hightech aus dem Labor

Ein weiteres Forscherteam tüftelt daran, die Haut von Tieren zu retten: In Nährtanks lässt das Leipziger Unternehmen ScobyTec ein biologisches Zellulose-Leder auf Basis von Pilz- und Bakterienkulturen heranwachsen. Nach der „Ernte“ wird das Zellulosematerial getrocknet und weiterverarbeitet. Die Entwicklung mit dem Namen „ScobyTec BNC“ soll robust und langlebig sein. Die Herstellung ist ressourcenschonend und frei von chemischen Abfällen. Das innovative Material wurde mit dem „PETA Innovator Award“ ausgezeichnet und wird von einem Schuhhersteller bereits kommerziell genutzt. Zuvor hatten die Leipziger mit einer Bikerweste aus Kombucha-Pilzkulturen von sich reden gemacht. Das vegane Leder mit Kombucha als Hauptzutat lässt sich übrigens auch selbst „kochen“: Eine Anleitung gibt es unter veganblog.de.

Lederalternative Zellulose-Latex: Bastelfreunde kennen dieses „Papier“

Ein waschbares Papier in Lederoptik, aus dem man Geldbeutel, Mousepads und Taschen nähen kann? Gibt es. Das als „Waschpapier“ bekannte Material besteht in der Regel aus einem Zellulose-Latex-Gemisch und ist reiß- und abriebfest. Zunächst sieht es wirklich aus wie normales Papier, knautscht und wäscht man es, kommt es Leder ziemlich nahe. Im privaten Do-it-yourself-Bereich ist das Papier zum Renner geworden: Denn es lässt sich nicht nur vernähen, sondern auch besticken, färben, stanzen, prägen und so weiter. In Deutschland ist das lederne Papier als Ursus® Vegatex und SnapPap erhältlich. Die Zellulose für SnapPap stammt laut Herstellerangaben aus nordeuropäischen nachhaltigen Baumbeständen; das Material enthalte kein Pentachlorphenol, PVC oder BPA.

Lederalternative Labor-Leder: Echte Tierhaut aus der Petrischale

Es sieht aus wie Leder, fühlt sich so an und riecht auch so: Leder aus dem Labor namens ZOA™. Das Leder hat die biologische Struktur von Tierleder und wurde vom Biotech-Unternehmen Modern Meadow entwickelt. Das genaue Verfahren ist geheim. Vom Prinzip her funktioniert es so: DNA-veränderte Hefesporen produzieren Kollagen – ein wesentlicher Bestandteil von Tierhaut und damit Leder. Sobald das Kollagen geerntet ist, wird es von einer Flüssigkeit in ein festes, faseriges Material umgewandelt. Final wird es ähnlich wie Tierhaut gegerbt – nur das hierfür fast keine Chemie notwendig ist.

Nach rund zwei Wochen ist es fertig: Ein natürliches Leder, das abgesehen von tierfreier und umweltschonender Herstellung weitere Vorteile mit sich bringt. So kann ZOA™ die Eigenschaften gezielt beeinflussen. Die Biotechhaut kann dick oder dünn, fest oder dehnbar, strukturiert oder glänzend gezüchtet werden. Als fertiges Textil ist ZOA™ bislang nur im »Museum of Modern Art« in New York zu bewundern. Im Laufe des Jahres sollen die ersten Produkte namhafter Outdoor- und Modehäuser damit auf den Markt kommen.

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