Kreative Lösungen: Wie Papier-Ausdrucke bei Hackerangriffen helfen
Jeder Artikel im Sortiment von Waschbär unterliegt konkreten Qualitäts-Kriterien, die in hauseigenen Artikelpässen hinterlegt sind. Was aber tun, wenn diese Qualität nicht kontrolliert werden kann, weil der Zugriff auf die IT-Systeme nicht mehr möglich ist? Nach dem Hackerangriff auf Waschbär am 19. Mai brauchte das Team des Sortiments- und Qualitätsmanagements für die Kontrolle der neuen Winterkollektion 2021 und die Entwicklung der kommenden Frühjahrskollektion Maßtabellen und hinterlegte Qualitätsstandards – und konnte nicht darauf zugreifen. Not macht erfinderisch. So rappelte sich das Team nach dem ersten Schock wieder auf und entwickelte innerhalb weniger Tage kreative Lösungsansätze.
„Wir könnten bei den Designern anrufen und fragen, ob die uns ihre Produktzeichnungen schicken, damit wir diese mit unserer Ware abgleichen können“, war eine Idee. Gesagt – getan. „Ich habe da noch einen Ausdruck der Größen-Tabelle in einem Aktenordner – den könnte ich suchen“, war ein anderer Gedanke. Gesucht – gefunden.
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Wie arbeitet das Qualitäts- und Sortimentsmanagement normalerweise?
Um zu verstehen, was der Bereich Qualitäts- und Sortimentsmanagement während der akuten Phase der Hackerkrise bei Waschbär geleistet hat, muss man zunächst die Prozesse in normalen Zeiten verstehen: Im Team des Qualitäts- und Sortimentsmanagements wird mehrfach im Jahr Naturmode kreiert und ausgewählt. Waschbär achtet dabei auf Nachhaltigkeit und soziale Arbeitsbedingungen, deshalb müssen alle Stoffe und Prozesse für die Herstellung der Textilien bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen, etwa Zertifizierungen wie den Global Organic Textile Standard (GOTS) oder die Standards der Fair Wear Foundation.
„Auf diese Standards schaut mein Team gemeinsam mit dem Team der Nachhaltigkeit, bevor wir ein Produkt in unser Sortiment aufnehmen“, sagt Vanessa Schinke, Teamleiterin Sortimentsmanagement und Produktdesign Textil bei Waschbär. „Bei Textilien haben wir ein Jahr Vorlauf. Als der Hackerangriff im Mai erfolgte, hatten wir einen Teil des künftigen Sortimentes schon fertig, aber bei etwa einem Drittel waren wir noch im Prozess.“ Keine Server, keine Daten – keine Bekleidungsartikel für die neue Kollektion.
Vanessa Schinke, Teamleiterin Sortimentsmanagement und Produktdesign Textil über die Aufgaben ihres Teams und die Reaktion auf die Krise.
Was tun, wenn digitale Unterlagen nicht zur Verfügung stehen?
„Wir haben erst mal dagestanden und wussten überhaupt nicht, was machen“, erinnert sich Angele Zettner, Bereichsleiterin Sortiments- und Qualitätsmanagement. Ihr Team besteht aus 53 Leuten. Das Einzige, was alle zu diesem Zeitpunkt nutzen konnten, war ein webbasierter Messenger-Dienst, der auch ohne die Waschbär-Server funktionierte. „Wir sind dann auch unkonventionelle Wege gegangen und haben erst einmal WhatsApp-Gruppen gegründet, um uns auszutauschen“, so Angele Zettner. „Alles, was uns geholfen hat, um zueinander zu finden und in Austausch zu treten, haben wir genutzt. Die wichtigste Frage war: Wie kommen wir an Materialien und Dokumente, die uns helfen, normal weiterarbeiten zu können?“
Angele Zettner, Bereichsleiterin Sortiments- und Qualitätsmanagement über unkonventionelle Methoden und Freude über Unterlagen auf Papier.
Dabei ging das Team auch wieder zurück ins Zeitalter vor der Digitalisierung. Eigentlich sind ja bei Waschbär alle darauf bedacht, nachhaltig zu arbeiten und auf Papierausdrucke zu verzichten. „Die Kollegen, die dann in der Vergangenheit sozusagen ‚heimlich‘ ein paar Ausdrucke gemacht hatten, waren jetzt die Helden der Stunde. Denn die hatten Daten und Informationen auf Papier, die normalerweise nach dem Hackerangriff nicht zur Verfügung gestanden hätten“, lacht Zettner. „Damit ist eine Lawine ins Rollen gekommen und die Kollegen sagten: Papier, das wär’s! So haben wir unsere Designerin angerufen und gefragt: Was kannst du uns zur Verfügung stellen? Wir sind dann Stück für Stück an die Informationen gekommen, die wir brauchten, um weiter arbeiten zu können.“ Auch die guten alten Aktenordner mit abgehefteten Unterlagen erlebten eine Renaissance. So klappte es tatsächlich, die Details für die neue Frühjahrs-Kollektion 2022 rechtzeitig an die Lieferanten zu übermitteln und die Deadline einzuhalten.
Gemeinsam Lösungen finden
Um Qualität geht es auch beim Wareneingang. Dort prüft das Team unter der Leitung von Sebastian Dutton stichprobenartig bei jeder Lieferung, ob diese den von Waschbär vorgegebenen Standards entspricht – also ob beispielsweise die Maße eines Kleides samt seiner Passform stimmen und ob die Verarbeitung gelungen ist. „Für all das gibt es schriftlich hinterlegte Dokumente und Maßtabellen – aber an die kamen wir ja wegen des Hackangriffs nicht heran“, erinnert sich Sebastian Dutton an jene Tage nach dem Hackerangriff am 19. Mai.
Angele Zettner Bereichsleiterin Sortiments- und Qualitätsmanagement, erklärt wie die Qualitätskontrolle bei Waschbär funktioniert.
Die Ware ungeprüft ins Lager stellen kam nicht in Frage, zumal es dabei um Größenordnungen bis zu 30.000 Teilen geht, die notfalls in einer gewissen Zeit beim Lieferanten reklamiert werden muss. „Dann kam aber jeder mit einer Idee, wie wir an die Maße und Vorgaben kommen konnten. Eine Mitarbeiterin hatte zufällig die Maße ausgedruckt, jemand anders fand eine Maßtabelle bei einem Muster. So hat sich dann irgendwie alles gefügt, sodass ich nichts ungesehen ins Lager geben musste“, sagt Dutton.
Aus Handynachrichten werden Lieferscheine
Was so leicht klingt, bedeutet in den ersten Tagen einen erheblichen Mehraufwand und brauchte einiges Organisationstalent. „Ich bin schon sehr viel rumgelaufen“, sagt Sebastian Dutton. „Ich hatte das Gefühl, ich drehe mich rum und habe schon die nächste Frage, die beantwortet werden muss oder wo ich etwas klären muss.“ Ein Beispiel: Die Lieferscheine. Die kommen normalerweise per E-Mail; doch da der Mailserver heruntergefahren werden musste, gab es keine Belege mehr. „Doch ohne Lieferscheine können wir keinen Wareneingang machen“, so Dutton. „Wir haben uns dann die Daten aufs Handy schicken lassen und von dort hat das dann eine Mitarbeiterin abgetippt.“
Er und sein Team gehen gestärkt aus dieser Krise. „Man findet immer einen Weg, eine Aufgabe zu lösen. Wenn man sich kreativ zusammensetzt und ein Brainstorming macht, dann kommen von allen Seiten gute Ideen, mit denen man solch eine Krise bewältigen kann.“
Sebastian Dutton, Teamleiter Qualitätsmanagement und sein Team gehen gestärkt aus der Krise.
Ähnlich sieht es Bereichsleiterin Angele Zettner: „Wir haben es tatsächlich geschafft – trotz all der widrigen Umstände durch den Hackerangriff. Darauf sind wir sehr, sehr stolz. Und ich bin stolz auf meine Leute, mit wieviel Kreativität und Ideenreichtum sie es möglich gemacht haben, dass wir unsere neue Kollektion vom Frühjahr/Sommer 2022 in Angriff nehmen können.“
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