Klima-Kipppunkte: Was man darunter versteht und wo es sie gibt

Einige Eisschollen treiben auf dem Meer.

Die Menschheit beansprucht den Planeten jedes Jahr so stark, dass dieser die Belastung nicht mehr kompensieren kann. Schon heute gibt es zum Beispiel im Regenwald den Berechnungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge Gebiete, die mehr Kohlenstoff produzieren als aufnehmen. Deswegen zählt die „grüne Lunge der Erde“ zu einem der Elemente, die beim Thema Kipppunkte Klima eine große Rolle spielen. Denn laut Forschenden sind diese Punkte, wenn einmal eingetroffen, unumkehrbar. Und der Regenwald nähert sich diesem Punkt immer mehr an. Näheres hierzu können Sie in einem Beitrag des Magazins GEO zur Rolle des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien sowie in einem Artikel von tagesschau.de zum selben Thema nachlesen.

Klima-Kipppunkte einfach erklärt

Für eine gewisse Zeit ging man davon aus, dass der Klimawandel sich linear entwickelt. Die Idee war, dass die Erde sich über die Zeit immer mehr erwärmt, bis sie schließlich eine bestimmte Grenze überschreitet, auf die massive Konsequenzen folgen. Heute vertreten viele Forschende eine andere Theorie, nämlich die der Kippelemente. Diese berechnet man anhand verschiedener Modelle. Dabei sollten Sie stets im Blick behalten: Es handelt sich hierbei um keine hundertprozentige Voraussage der Zukunft, sondern um eine Risikoanalyse mit dem Ziel der Vorsorge.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) nimmt eine führende Rolle in der Debatte um die Kippelemente ein. Es definiert Kippelemente als „wichtige, großskalige Bestandteile des Erdsystems, die ein Schwellenverhalten aufweisen.“ Diese Elemente sind also bei steigender globaler Erwärmung zunächst stabil und „kippen“ ab einem bestimmten Schwellenwert in einen neuen Zustand. Und die Momente, in denen das geschieht, bezeichnet man als Kipppunkte. Sind diese einmal ausgelöst, befürchten die Forschenden irreversible Prozesse im gesamten Ökosystem. Es käme also zu einer Art Kettenreaktion, sodass sich die Folgen eines Kippelements auf andere Kippelemente auswirken.

Hobbygärtnerinnen und -gärtner mit Teich haben den Prozess des Umkippens im Kleinen vielleicht schon einmal selbst erlebt. An heißen Tagen geraten Sauerstoff- und Nährstoffgehalt des heimischen Teichs aus dem Gleichgewicht. Das kann eine überhöhte Algenproduktion, deren Abbau und anschließend großflächiges Fischsterben nach sich ziehen. Wird der Teich allerdings aufmerksam beobachtet und greift man rechtzeitig ein, lässt sich Schlimmeres verhindern. Und genau das ist das Ziel der Theorie der Kipppunkte im Klimasystem.

Welche Kipppunkte und Kippelemente im Klima gibt es?

Die Wissenschaft betrachtet hier großflächig folgende Elemente:

  • Eis- und Permafrost-Systeme
  • Strömungssysteme
  • Ökosysteme

Wie die Grafik des PIK zeigt, gibt es unterschiedliche Kipppunkte für die einzelnen Elemente.

Die Grafik zeigt die globalen Kippelemente und die dazugehörenden Kippunkte Klima.
Die Klima-Kippunkte sind global verteilt.

Durch die Grafik wird auch erkenntlich, warum das berühmte 1,5-Grad-Ziel der Umweltpolitik eine wichtige Rolle spielt. Denn bei einer Erwärmung der Erde um mehr als diese Zahl befürchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits die ersten Kipppunkte verschiedener Elemente. Im Folgenden lesen Sie, welche Konsequenzen das Kippen der Elemente nach sich ziehen könnte. Bitte beachten Sie aber, dass es sich hierbei um vereinfachte Darstellungen komplexer wissenschaftlicher Modellierungen und Berechnungen handelt.

Kippelement: Eis und Permafrost

Permafrost, arktisches Meereis, Grönländischer Eisschild, Gebirgsgletscher, West- und Ostarktischer Eisschild: Sie alle fasst das PIK unter „Eis und Permafrost“ zusammen. Dabei geht es vor allem darum, dass die zunehmende Erderwärmung zum Schmelzen von Eisschichten, ganzjährigen Eisdecken und Gletschern führt. So könnte Berechnungen zufolge allein bei einem Plus von zwei Grad Erdwärme der arktische Ozean jeden zehnten Sommer eisfrei sein. „Jeder zehnte Sommer? Das geht ja noch!“, könnte man jetzt denken. Problematisch ist es dennoch. Denn schmilzt die helle Eisschicht, kommt darunter ein dunklerer Boden zum Vorschein. Dieser wiederum nimmt mehr Sonnenwärme auf und begünstigt das Abschmelzen des verbliebenen Eises.

Man vermutet, dass Vorgänge wie dieser erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen: So gehen die Forschenden vom PIK davon aus, dass das gesamte marine Eis des Westantarktischen Eisschilds in den nächsten Jahrhunderten in den Ozean fließen und der Meeresspiegel dadurch weltweit um drei Meter angehoben wird.

Ein großer Gletscher schmilzt und trägt damit zu einem Kipppunkt Klima bei.
Die Gletscherschmelze setzt Unmengen an Wasser frei.

Doch nicht nur ein steigender Meeresspiegel ist eine drohende Gefahr, wenn Eisschichten und Permafrost tauen: Bei zwei Grad Erwärmung rechnen Expertinnen und Experten mit dem vollständigen Verlust der Korallenriffe. Denn das geschmolzene Eis findet seinen Weg in die Weltmeere und verändert die Wassertemperatur. Korallen reagieren aber recht empfindlich auf solche Ereignisse, was mitunter dazu beiträgt, dass sie absterben. Dadurch wiederum verlieren viele Fischarten ihren Lebensraum und sind somit ebenfalls bedroht. Auch das Auftauen verschiedener Bodenschichten könnte bisher unbekannte Viren freisetzen, die über Jahrhunderte im Eis eingeschlossen waren. Hierdurch steigt das Risiko neuer Pandemien.

Klima-Kippunkte bei Eis und Permafrost

Laut PIK zählen die Eisvorkommnisse in der Antarktis und in Grönland sowie Gebirgsgletscher zu den Elementen, deren Kipppunkte bei einer fortschreitenden Erderwärmung als Erstes erreicht werden könnten. Die vermutete Dauer bis zum Eintreten sowie die dafür nötige Erwärmung variieren dabei: Während Grönlands Eisschilde bereits bei einem Plus von 1,5 Grad gefährdet sind, ist der Kipppunkt Klima beim arktischen Winter-Meereis bei zusätzlichen 6,3 Grad auszumachen.

Kippelement: Strömungssysteme

Luft- und Meeresströmungen sind sowohl das ganze Jahr über als auch saisonal spürbar. Sie haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des PIK rechnen aber mit plötzlichen Umbrüchen und Neuorientierungen der Strömungen, was unterschiedliche Folgen nach sich ziehen kann.

Die Menschen in Nordwest-Europa haben das milde Klima bisher mitunter dem Golfstrom zu verdanken. Dieser ist Teil der Umwälzzirkulation des Atlantiks, die nicht nur warmes und kaltes Wasser in Bewegung versetzt, sondern auch den Salzgehalt ausgleicht. Strömt durch schmelzendes Eis im Norden immer mehr Süßwasser in diese Zirkulation, ist deren Motor gefährdet: Die Meeresströmungen werden schwächer oder versiegen vollständig. Auch für die Zirkulation im Labrador- und Irminger-Meer befürchtet man diese Vorgänge bei steigender Erderwärmung. Die Erwärmung der südlichen Hemisphäre, die Verschiebung der untertropischen Konvergenzzone nach Süden, die Monsunabschwächung in Afrika und Asien sowie eine Verstärkung in der Südhemisphäre – das sind nur einige der Folgen, die das PIK befürchtet, sollten die Strömungssysteme kippen.

Kipppunkte Klima: Strömungssysteme

Anhand dieses Elements zeigt sich beispielhaft, welche Kettenreaktion das Erreichen eines Kipppunkts nach sich ziehen kann: Die Störung der atlantischen Umwälzzirkulation sagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des PIK bei einer Erderwärmung von weiteren vier Grad voraus. Doch je mehr und je schneller geschmolzenes Eis in die Strömung gerät, desto schneller erwartet man hier negative Auswirkungen.

Kippelement: Ökosysteme

Zu dieser Kategorie zählt der lebendige Teil des Erdsystems, zum Beispiel nordische Nadelwälder, Korallenriffe in niedrigen Breiten und natürlich der Amazonasregenwald. Sterben diese Ökosysteme ab, wird meist zusätzlich Kohlenstoff freigesetzt.

Das lässt sich bereits im Regenwald beobachten. Dieser leidet unter Dürreperioden, Bränden und Abholzung durch den Menschen. Das führt sowohl zum Verlust von Bäumen als auch zu Auswirkungen auf regionales Wetter. Denn ist Wasser Mangelware, verdunsten die Bäume des Regenwaldes weniger Wasser über ihre Blätter. Im Umkehrschluss sinkt die Luftfeuchtigkeit und es regnet seltener. Ein trockener Boden schlägt sich negativ auf die Widerstandskraft des Ökosystems nieder, sodass der Regenwald von Busch- und Graslandschaften verdrängt wird.

Laut einem Beitrag von tagesschau.de stößt der Regenwald im östlichen Teil bereits mehr Kohlenstoff aus, als er aufnimmt. Und das ist ein Problem, denn normalerweise ist er für ein Viertel des weltweiten Kohlenstoffaustauschs zwischen Bio- und Atmosphäre verantwortlich. Dabei ist Kohlenstoff in der Atmosphäre ja einer der wesentlichen Punkte, die zur Erderwärmung beitragen und die umweltbewusst lebende Menschen reduzieren möchten. Aus diesem Grund kommt der Aufforstung weltweit eine so bedeutende Funktion im Kampf gegen den Klimawandel zu.

Kipppunkte Ökosysteme

Wie erwähnt, sind Korallenriffe in niedrigen Breiten eines jener Elemente, die bereits bei geringer Steigerung der Erderwärmung in Gefahr sind. Den Kipppunkt Klima und damit ein Absterben der nordischen Nadelwälder berechneten die PIK-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler bei einem Plus von vier Grad Erderwärmung.

Gibt es auch positive Kipppunkte für das Klima?

Diese gibt es – allerdings sind sie eher falsche Freunde als tatsächlich erfreuliche Umkehrungen. Denn laut einem Beitrag des Umweltbundesamts spricht die Wissenschaft von einer positiven Rückkopplung im Sinne einer Verstärkung des Anfangsimpulses. Ein positiver Kipppunkt wäre für die Menschheit und die Umwelt daher mit negativen Folgen verbunden.

Der Stand der Klimaforschung

Die sogenannte Earth Commission ist ein Zusammenschluss um den PIK-Direktor Johan Rockström. Diese Gruppe besteht aus verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Ländern. Sie haben in einer kürzlich veröffentlichten Studie dargelegt, dass die Belastbarkeit der Erde an so vielen Stellen überschritten wurde, dass ein gerechtes Leben für alle Menschen weder heute noch in Zukunft möglich ist. Denn sind die Kipppunkte des Klimas einmal überschritten, leiden besonders ärmere Länder noch mehr unter den Folgen des Klimawandels.

Über das Prinzip der planetaren Grenzen, also der Kipppunkte des Klimas, sprachen Rockström und sein Team bereits vor einigen Jahren. Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonten die Wichtigkeit der kürzlich veröffentlichten Studie. Zwar gibt es auch Kritik von Kolleginnen und Kollegen. Allerdings bezieht sich diese oft nicht auf die Existenz der Kipppunkte an sich, sondern auf die Berechnungsmethode. Eine Expertin der Biodiversität bezweifelt in einem Beitrag von tagesschau.de, dass es für die Biodiversität überhaupt einen Kipppunkt gebe.

Spannend scheint vor dem Hintergrund dieses wissenschaftlichen Diskurses die Aussage des Abteilungsleiters für Klima- und Umweltphysik am Physikalischen Institut der Universität Bern gegenüber ZEIT ONLINE: „Eigentlich brauchen wir die Drohkulisse der Kipppunkte nicht, um uns die Dringlichkeit der Klimakrise bewusst zu machen.“ Seine Aussage verdeutlicht, dass es bei dieser Theorie vor allem um die Idee von Umweltschutz gehen sollte und nicht darum, bestimmte Szenarien punktgenau vorauszusagen. Auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des PIK verweisen darauf, dass die Kippelemente nicht linear reagieren und der kritische Grenzwert sich nicht exakt vorhersagen lässt.

Wie kann man den Klimawandel stoppen?

Ist ein Kipppunkt erreicht – so die Forschenden des PIK – ist keine Umkehrung mehr möglich. Umso wichtiger ist es, diesen Fall gar nicht erst eintreten zu lassen. Einzelpersonen können auf eine umweltfreundliche und nachhaltige Lebensweise setzen. Dazu zählen zum Beispiel die CO2-neutrale Fortbewegung sowie der Verzicht auf Flugreisen, eine fleischarme beziehungsweise vegetarische Ernährung sowie ein bewusster Umgang mit Ressourcen.

Doch Umweltfreundinnen und -freunde müssen sich auch einer anderen Sache bewusst sein: Die effektivsten Hebel in Sachen Klimawandel kann zwar vor allem die Politik in Bewegung setzen. „Ich kann eh nichts machen“ zählt allerdings nicht als Ausrede. Denn soziales sowie politisches Umweltengagement kann im Kleinen sowie im Großen dazu beitragen, die Kipppunkte in der Ferne zu halten. Gehen Sie auf Klimademos, melden Sie sich freiwillig zu Aufforstungsaktionen oder initiieren Sie Gartenprojekte. Und falls Sie selbst nicht die Möglichkeit dazu haben, unterstützen Sie mit einer Spende jene, die sich für Natur- und Umweltschutz aktiv einbringen.

Kipppunkte Klima: Link-Tipps zum Thema

Wer sich noch intensiver mit dem Thema beschäftigen möchte, dem seien die folgenden beiden Links ans Herz gelegt. Hier ist der aktuelle Stand der Forschung zum Thema Klimafolgenforschung noch einmal ausführlich nachzulesen:

  • Hier finden Sie einen Überblick des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zu seinem derzeitigen Forschungsstand in Sachen Kippelemente.
  • Eine wissenschaftliche Studie von Johan Rockström und anderen wurde im Wissenschaftsjournal nature in englischer Sprache veröffentlicht.

 

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