Medienerziehung: Wie lernen Kinder den Umgang mit digitalen Medien?
Digitale Medien sind aus der Lebenswelt unserer Kinder nicht mehr auszuklammern – das hat sich zuletzt besonders gezeigt in Zeiten von Homeschooling und geschlossener Kitas. Kontaktpflege, Lernen, Spiel & Unterhaltung: Was sich sonst in der Schule, in der Kita oder draußen mit Freunden abspielte, hat sich während der Pandemiebeschränkungen auf Bildschirme und Displays verlagert. Doch wann ist es zu viel und ab welchem Alter ist der Griff zu Tablet & Co. eigentlich empfehlenswert? Und wie können Eltern ihre Kinder am besten beim Umgang mit digitalen Medien unterstützen?
Über diese und weitere Fragen haben wir mit Medienpädagogin Dr. Iren Schulz gesprochen, die bei der Initiative „Schau Hin! Was dein Kind mit Medien macht“ Eltern rund um Fragen zur Medienbildung coacht.
Inhalt
Dr. Irene Schulz gibt hilfreiche Tipps zur Medienerziehung
Viele Eltern möchten ihre Kinder solange wie möglich vor Medien „bewahren“. Ist das eine gute Strategie und ab wann ist es okay, Kinder an digitale Medien heranzuführen?
Die einen sagen, mit Medienerziehung im Kindergartenalter anzufangen, sei viel zu zeitig. Die authentischen Sinneserfahrungen seien wichtiger. Das stimmt absolut. Andererseits: Sobald Kleinkinder ihre Umwelt wahrnehmen, sehen sie die ganzen Bildschirme und was diese für eine Aufmerksamkeit von den Erwachsenen bekommen. Und dann wollen sie auch „wischen“ und mitmachen. Die Kinder treiben das von selbst voran, und deshalb ist es wichtig, frühzeitig den Grundstein für einen verantwortungsvollen Umgang zu legen. Bei SCHAU HIN! empfehlen wir ein Einstiegsalter für Bildschirmmedien nicht unter drei Jahre. Ab diesem Alter wird das Interesse schon groß und erste Medienangebote interessant. Aber wenn man sich die Realität und die Angebote anschaut, ist selbst das eine unrealistische Grenze. D.h. oft geht es viel früher los. Inhaltlich und zeitlich muss es im Vorschulalter aber wirklich überschaubar bleiben.
Was empfehlen Sie hier als Zeitlimit?
Was wir bei SCHAU HIN! an Zeitlimits empfehlen, orientiert sich an der WHO und diversen Studien, die den gesundheitlichen und kognitiven Stand der Kinder zugrunde legen. Für Kinder bis fünf Jahre sagt man eine halbe Stunde Bildschirmzeit am Tag und für Kinder zwischen sechs und neun Jahren eine Stunde. Ab neun Jahren empfiehlt man pro Lebensjahr und Tag zehn Minuten bzw. pro Lebensjahr und Woche eine Stunde. Da kann man das Ganze etwas flexibler handhaben und beispielsweise ein Wochenkontingent zur Verfügung stellen, dass sich die Kinder selbst einteilen. Solche pauschalen Zeitvorgaben sind aber immer relativ zu betrachten, gerade in Zeiten des Homeschoolings und geschlossener Kitas. Manche Kinder können mehr Medienzeit verkraften, andere gehen schon nach kurzer Zeit buchstäblich die Wände hoch. Man sieht den Kindern an, wenn es zu viel wird. Eltern sollten immer die Zeitvorgaben im Kopf haben, aber zugleich schauen, was zum Kind und zur Familiensituation passt.
Welche digitalen Medieninhalte eignen sich für Kleinkinder und was müssen Eltern bei den ersten Steps in die digitale Welt beachten?
Es geht mit fernsehähnlichen Angeboten los, zum Beispiel Videos und kleinen Filmchen über YouTube oder Streamingdienste. Dann lassen sich langsam auch interaktive Angebote integrieren. Wichtig ist immer, kindgerechte Inhalte auszusuchen, die für die Altersgruppe explizit ausgewiesen sind. Ich empfehle zum Beispiel Apps mit Hörgeschichten, die bereits ein wenig interaktiv sind, zum Beispiel „Die große Wörterfabrik“ und „Der kleine Pirat“. Und KIKA bietet nicht nur Fernsehen, sondern auch ein interaktives Angebot, das über Tablet und Smartphone abrufbar ist. Und das ist schon mehr als ausreichend.
Wichtig gerade bei den Kleinsten ist, dass man sie mit den Medien nicht allein lässt. Am besten man schaut sich das Angebot zusammen an. Denn Kinder beschäftigt emotional sehr viel; was wir Eltern harmlos finden, wühlt die Kleinen vielleicht auf. Deshalb ist es gut, dabei zu sein, um das gleich mit auffangen zu können. Wenn die Kinder anfangen mit Apps zu spielen und interaktiver werden; spätestens da muss man auch auf höchstmöglichen Datenschutz achten, also zum Beispiel keine eigenen Kinderprofile einstellen und immer mit einem wachen Blick vor allem bei den Jüngeren zu sein.
Das ist alles sehr überschaubar. Kann man bei Kleinkindern dann schon von Medienerziehung sprechen?
Kindern einen zeitlich und inhaltlich geregelten Medienumgang zu vermitteln, ist ein Teil von Medienerziehung. Wenn man vornherein transparente Regeln zur Mediennutzung aufstellt, vermittelt man bereits Kleinkindern, dass Online-Zeit begrenzt ist und Inhalte nicht wahllos zur Verfügung stehen. Auch über unser Vorbild geben wir den Kindern bereits viel für ihren späteren Medienumgang mit. Das bedeutet zum Beispiel, wenn die Kleinen mit Legosteinen spielen, dass die Eltern nicht danebensitzen und auf ihre Handydisplays schauen. Hier geht Medienerziehung bereits los.
Sind die Themen Sicherheit und Risiken bei der Mediennutzung im Kleinkindalter schon relevant?
Medienerziehung soll Kinder auch dazu befähigen, sicher mit Medien umzugehen. Da sind auf der einen Seite die kindgerechten Angebote, die Kinder faszinieren und die sie intuitiv bedienen. Die andere Seite ist natürlich, und darum ist Medienerziehung so wichtig, dass Kinder nicht intuitiv verstehen, wenn sie auf einem Tablet rumwischen, was in dieser kleinen Schachtel alles drinsteckt. Welche unendlichen Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Zum Beispiel, dass sich im Internet wie im echten Leben Leute tummeln, die Kindern Geld aus der Tasche ziehen wollen oder von Kindern etwas möchten, das nicht in Ordnung ist. Im Kleinkindalter spielt dies als Teil von Medienerziehung allerdings noch keine große Rolle. Denn hier sage ich ganz klar, dass Eltern altersgerechte Inhalte auswählen und vorgeben, um ihre Kinder vor nicht kindgerechten Inhalten zu schützen. Also drei- oder vierjährige sollen sich noch nicht selbst durch Online-Angebote klicken können.
Ab wann müssen Kinder selbst mit den Risiken der digitalen Welt umgehen können?
Sobald die Kinder eigenständiger sind und man die Mediennutzung nicht immer im Blick hat. In der Grundschule geht es zum Beispiel los, dass Kinder selbst Videos posten wollen, dass sie einen Account haben wollen und sich für WhatsApp und Co. interessieren. Da muss man dann schon über Dinge wie Werbung, Datenschutz und Fake News sprechen. Man sollte den Kindern Wissen darüber und eine gewisse Sensibilität mitgeben, so dass sie ein Gespür dafür bekommen, Inhalte und Risiken einschätzen zu können. Dass sie zum Beispiel bemerken: „Das hier ist jetzt irgendwie komisch“ oder „Da spricht mich jemand im Spielchat an, da sage ich lieber meinen Eltern Bescheid“. Aber ich würde den Kindern keine Weltangst einreden, indem man sagt: „Wenn ich dich ins Internet lasse, lauert überall das Böse auf dich“. Das finde ich auch nicht richtig. Da muss man versuchen, eine Balance zu finden.
Ein großes Thema ist auch ein sozial verantwortlicher Medienumgang, Stichwort Cybermobbing. Dass die Kinder zum Beispiel lernen, keine Bilder von anderen zu benutzen, um ihnen damit zu schaden. Insgesamt heißt das also, dass Heranwachsende nur über gute Gespräche und sinnvolle Regeln lernen, mit den Herausforderungen der digitalen Welt umzugehen.
Worauf kommt es bei guter Medienerziehung durch die Eltern noch an?
Irgendwann werden zwar die Gleichaltrigen wichtiger, aber bis circa 10, 13 Jahre ist die Familie der maßgebliche Bezugspunkt für alle Regeln – ob es ums Zimmer aufräumen geht oder um einen maßvollen Medienkonsum. Kinder könnten den ganzen Tag auf dem Tablet spielen. Sie finden von selbst kein Ende und keine Grenzen. So wie sie auch drei Tafeln Schokolade essen würden, wenn man sie lassen würde. Medienerziehung vor allem bei den Jüngeren bedeutet daher erstmal klare und transparente Regeln einzuführen. Regeln, die realistisch sind und in der Familie funktionieren. Zum Beispiel, dass alle Familienmitglieder bei gemeinsamen Mahlzeiten ihre Smartphones und Tablets zum „Handyparkplatz“ (ein kleiner Korb im Flur z.B.) legen. Oder dass generell ab 19.00 Uhr die Kinder alle Medien weglegen bzw. ausschalten.
Aufgestellte Regeln funktionieren vielleicht nicht immer zu 100 Prozent. Aber man sollte versuchen, sie weitgehend umzusetzen und dabei zu bleiben. Je älter die Kinder werden, desto flexibler müssen diese Regeln werden. Idealerweise fällt dann im Jugendalter „der Schalter um“ und die Kinder gehen freiwillig offline. Also da sollten sich die Regeln etabliert haben – so wie das Kind sich automatisch abends und morgens die Zähne putzt. Da macht es dann das Computerspiel von selbst aus, um Hausaufgaben zu machen. Das ist der ideale Weg, den man anstrebt.
Mit klaren Regeln ist man als Eltern also auf der „sicheren Seite“?
Zu guter Medienerziehung gehören mehr als nur Regeln. Eltern sollten sich bewusst sein, dass sie eine Vorbildrolle haben. Vor allem Kleinkinder ahmen ihre Eltern nach und schauen sich alles ab. Wenn man die ganze Zeit am Handy oder Laptop verbringt, wird das Kind nicht verstehen, warum es sich anders verhalten soll. Gerade jetzt, wo viele von zu Hause aus arbeiten, ist das natürlich eine Herausforderung. Hier sollte man schauen, eine Balance zu finden. Sich also immer wieder medienfreie Auszeiten zu schaffen und den Kindern alternative Freizeit-Angebote zu machen.
Wichtig ist auch, dass man sich für das interessiert, mit dem sich die Kinder beschäftigen. So wird man für seine Kinder ein Ansprechpartner. Und man kann besser argumentieren, wenn man den Inhalten skeptisch gegenübersteht. Oft ist es ja so, dass Eltern sich fragen, warum in aller Welt sich das Kind für diesen YouTube-Influencer oder dieses neueste Spiel begeistert. Da muss man versuchen, aufgeschlossen und halbwegs wertfrei zu sein. Wenn man sich darauf einlässt, einfach mal mitschaut oder mitspielt, kann man erklären, was einem daran vielleicht nicht gefällt und dann überlegen, wie man damit umgeht.
Welche Zusammenfassung würden Sie Eltern rund um die Medienerziehung ihrer Kinder mit auf den Weg geben?
Dass man klare transparente Regeln hat, dass man selbst ein gutes Vorbild ist, dass man medienfreie Auszeiten schafft, Offline-Alternativen anbietet und für die Kinder und ihre Fragen vor allem auch emotional da ist. Im Grunde geht es hier um ein Erziehungsverständnis, das nicht nur online, sondern auch offline gilt. Dazu gehört auch, dass man dem Draht zueinander nicht verliert und die Kinder im Blick hat, ohne ihnen hinterher zu spionieren.
Über unsere Interview-Partnerin: Dr. Iren Schulz ist promovierte Medienpädagogin und selbst Mutter einer zehnjährigen Tochter. Neben ihrer Tätigkeit als Mediencoach bei der Initiative „SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht“ gestaltet sie als freie Dozentin im Bereich Medienkompetenz und Medienbildung deutschlandweit Fortbildungen, Workshops und Projekte. An der Universität Erfurt ist Iren Schulz Dozentin im Masterstudiengang Kinder- und Jugendmedien und im Studiengang Pädagogik der Kindheit.
Weitere Tipps und Medien-Empfehlungen
In der App-Datenbank des Vereins Deutsches Jugendinstitut können sich Eltern über Spiele- bzw. Lern-Apps und deren pädagogische Bewertung informieren.
Zwei weitere von Dr. Iren Schulz empfohlene Medien-Tipps für die „Corona-Ferien“: