Umweltfreundliche Binden: Ein Menstruationsprojekt in Nepal
Mit kompostierbaren Binden aus Bananenfasern setzt das gemeinnützige Unternehmen NIDISI in Nepal ein Zeichen: für die reproduktive Gesundheit von Frauen und Umweltschutz – und gegen das Menstruationsstigma. NIDISI leitet sich aus dem Griechischen „Sinidisi“ ab, was „Gewissen“ bedeutet. Das Unternehmen entstand aus einer ehemaligen Studierendenorganisation und ist inzwischen, genau wie Waschbär, in Verantwortungseigentum. Für Mitgründerin Sarah Stuhl war dies die einzige Unternehmensform, die zugleich den Geist der Studierendenorganisation und den Unternehmenszweck dauerhaft aufrechterhalten konnte. Im Interview erzählt sie, warum Women-Empowerment-Projekte wie das Menstruationsprojekt NIDISI in Nepal besonders wichtig sind – und welches Potenzial sie bergen, um Frauen weltweit den Rücken zu stärken.
Inhalt
Interview mit Mitgründerin Sarah Stuhl über das Women-Empowerment-Projekt
Liebe Sarah, mit eurem Menstruationsprojekt möchtet ihr euch für die Stellung der Frau und deren Unabhängigkeit einsetzen. Warum ist das in Nepal ein Thema?
In Nepal ist die Menstruation stark stigmatisiert. Frauen gelten während ihrer Periode als unrein. In manchen Regionen dürfen sie dann nicht in ihrem eigenen Bett schlafen, einen Tempel oder die Küche betreten, geschweige denn Lebensmittel berühren. Hier gibt es tatsächlich den Glauben, dass Lebensmittel schneller verderben, wenn Menstruierende sie angefasst haben. Einige Mädchen gehen während ihrer Periode nicht zur Schule, was ihre Bildungschancen verschlechtert. Und obwohl es inzwischen gesetzlich verboten ist, leben Mädchen und Frauen mancherorts noch immer während ihrer Blutung in sogenannten Chhaupadis. Das sind Hütten abseits des Hauses, in denen sonst nur Tiere gehalten werden. Hier ist es mitunter gerade nachts sehr kalt und die Hygienebedingungen sind unwürdig. Gerade in ländlichen Gebieten ist außerdem der Zugang zu konventionellen Menstruationsprodukten begrenzt.
Welche Menstruationsprodukte gibt es denn in Nepal – und was tun jene Frauen, die keinen Zugang zu diesen Produkten haben?
Vor allem in den Städten gibt es in Supermärkten und Apotheken herkömmliche Monatsbinden zu kaufen. Doch auch sie untermalen das Menstruationsstigma, denn sie tragen Namen wie „Whisper“ (Flüstern). In vielen ländlichen Gegenden verwenden Frauen Stoffreste und in extremen Fällen Blätter. Grundsätzlich sind wiederverwendbare Stoffe kein Problem – sofern sie gründlich ausgewaschen und getrocknet werden. Da das Thema Menstruation jedoch schambehaftet ist, geschieht all das oft im Verborgenen. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Stoffe vollständig in der Sonne trocknen. Andernfalls vermehren sich darin sonst schnell Bakterien, die Infektionen auslösen können.
Was tut NIDISI, um die Situation menstruierender Frauen in Nepal zu verbessern?
Wir haben in Nepal ein Non-Profit-Unternehmen namens Sparśa gegründet. Dieses wird von nepalesischen Frauen geführt. Bereits der Name spiegelt wider, dass wir damit gesellschaftliche Veränderung rund um das Thema Menstruation herbeiführen möchten. Denn Sparśa bedeutet so viel wie „Berührung“ im spirituellen Sinne. Das Unternehmen wird vollständig kompostierbare Binden aus lokalen Materialien herstellen. Es schafft Arbeitsplätze und ermöglicht den angestellten Frauen somit finanzielle Unabhängigkeit. Mit den Erlösen finanzieren wir außerdem ein Programm mit Botschaftern und Botschafterinnen, das Aufklärungskampagnen für Schulkinder und die erwachsene Bevölkerung im Bereich Menstruation durchführt.
Erzähle mir mehr über eure Menstruationsprodukte. Woraus bestehen sie – und inwiefern sind sie umweltfreundlicher als herkömmliche Artikel?
Eine herkömmliche Binde besteht zu großen Teilen aus Plastik. Ihr Kern ist ein Plastik-Granulat oder Puder, das im Kontakt mit Feuchtigkeit zu einem Gel wird. Auch die untere Klebeschicht und der Abziehstreifen sind aus Plastik. Das ist in Nepal umso dramatischer, weil die Produkte nach der Verwendung zu 90 Prozent in der Umwelt landen. Kein Wunder, denn oft gibt es in Toiletten gar keine Mülleimer. Insgesamt ist die Abfallinfrastruktur meist nur schlecht ausgebaut. Und selbst wo eine solche Infrastruktur existiert, ist die Scham rund um Menstruation oft stärker als der Wille, Hygieneartikel korrekt zu entsorgen.
Der Kern unserer Produkte hingegen besteht aus den Fasern der Bananenstaude. Diese sind sehr saugfähig und bisher ein reines Abfallprodukt von Bananenplantagen, die man vor allem im Süden des Landes findet. Der Faserkern sitzt zwischen zwei Schichten: die obere Schicht, welche in Kontakt mit der Haut kommt, besteht aus Baumwolle. Die untere Schicht besteht aus einem auf Maisstärke basierenden Bioplastik. Sie verhindert ein Auslaufen der gesammelten Flüssigkeit. Alle drei Schichten sind komplett kompostierbar.
Lässt sich euer Projektansatz auch auf andere Regionen der Welt übertragen?
Auf jeden Fall. Sparśa ist ein Pilotmodell, das von Anfang an darauf ausgelegt war, als Blaupause zu dienen. Wir freuen uns darauf, unser Konzept und unser Wissen an andere NGOs im Globalen Süden weiterzugeben. Mit einem Partner in Kamerun startet gerade bereits der Wissenstransfer. In Zusammenarbeit mit renommierten Laboren passen wir unser Verfahren außerdem an verschiedene Pflanzen an. So wollen wir erreichen, dass sich die Binden auch in Klimazonen, in denen keine Bananen wachsen, produzieren lassen. Wichtig ist uns, dass die Initiativen immer von der lokalen Bevölkerung getragen werden. In unseren Augen ist die Gründung lokaler Sozialunternehmen wie Sparśa nachhaltiger als eine rein spendenbasierte Entwicklungshilfe, bei der immer starke Abhängigkeiten entstehen.
Wie ist der aktuelle Stand und was ist noch zu tun?
Wir arbeiten bereits am zweiten Prototyp unserer Binden, welcher von Probandinnen getestet wird. Auch die Markenentwicklung ist schon im Gange. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass die fertigen Produkte Stolz und Gesundheit vermitteln. Und wir möchten den Platz auf der Verpackung nutzen, um aufzuklären. Die Fabrik, in der wir die Bananenfasern zu einem saugfähigen Papier verarbeiten, ist bereits gebaut. Aktuell warten wir auf die Zustimmung der Behörden, damit wir die Bindenfabrik bauen können. Sobald die Produktion dann läuft, kann der Vertrieb beginnen. In den Städten planen wir aktuell, einen etwas höheren Preis zu veranschlagen als auf dem Land, da im städtischen Gebiet die Einkommen höher sind.
Aktuell rechnen wir damit, dass Sparśa noch etwa zwei Jahre lang finanzielle Unterstützung braucht, bis sich das Unternehmen eigenständig finanzieren kann. Dann werden wir das Projekt in anderen nepalesischen Gemeinden replizieren.
Kann man euch bei eurer Arbeit unterstützen?
Wir von NIDISI sind überzeugt, dass die Menschheit in der Lage ist, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Spenden helfen uns dabei, diese Überzeugung unter Beweis zu stellen und unsere Projekte umzusetzen. Wer uns unterstützen und für uns spenden möchte, kann dies über unsere Homepage tun.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, Sarah!
Menstruationsprojekt NIDISI: Über unsere Interviewpartnerin
Nach ihrem Studium des Energie- und Wassermanagements hoffte Sarah Stuhl, als Unternehmensberaterin Firmen dabei unterstützen zu können, nachhaltiger zu wirtschaften. In der Praxis kam der Umweltaspekt für ihr Empfinden jedoch immer etwas zu kurz. Während ihres Masterstudiums engagierte sie sich innerhalb einer Studierendenorganisation in Nepal für ein Wasserprojekt. Im Laufe der Jahre kamen weitere Projekte wie das Women-Empowerment-Projekt dazu. Mit Gründung des gemeinnützigen Unternehmens NIDISI professionalisierten Sarah und ihre Mitstreitenden die Arbeit der Studierendenorganisation. Statt an der harschen Realität zu verzweifeln, entwickeln sie und ihr Team zukunftsfähige Lösungen für gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen. Für eine bessere Welt.
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