Mitmach-Supermarkt – so geht solidarisches Einkaufen
Wenn man den Supermarkt „FoodHub“ im Münchner Stadtteil Obergiesing betritt, sieht erst einmal alles aus wie in einem ganz normalen Bio-Laden: viel leckeres Obst und Gemüse, ein Kühlregal mit frisch abgepacktem Käse im Mehrwegbehälter, Wurst und Fleisch, faire Schokolade und Kaffee. Und doch ist etwas anders: Man wird nett begrüßt und empfangen und dann darüber aufgeklärt, dass ein Einkauf hier und jetzt leider spontan nicht möglich ist. Denn der FoodHub ist Münchens erster solidarischer Mitmach-Supermarkt. Wer hier etwas kaufen möchte, muss Genossenschaftsmitglied sein und auch mitarbeiten.
Eins haben dabei alle gemeinsam: Sie sind Mitglieder, die die Idee hinter dem Konzept engagiert unterstützen und mittragen. „Dadurch entsteht eine ganz andere Stimmung bei uns. Unser Markt ist nicht einfach nur ein Platz zum Einkaufen, sondern ein Ort für ein echtes Miteinander“, erzählt Quentin Orain, einer der Gründer des FoodHubs. Man lernt sich kennen, tauscht sich aus und unterhält sich. Wer beispielsweise an der Kasse nicht gleich die Taste für den Brokkoli findet, erhält Unterstützung von den anderen. „Und alle dürfen Ideen einbringen und Wünsche oder Bedürfnisse zum Sortiment äußern. Gleich am Eingang steht dafür unser Produktwunschbuch. Hier kann jede und jeder Teilnehmende neue Produkte oder Hersteller vorschlagen“, so der Mit-Initiator weiter.
Inhalt
Ein Mitmach-Supermarkt in München – so ging es los
Quentin Orain wollte sich beruflich neu orientieren, etwas selbst in die Hand nehmen und eigenverantwortlich tätig werden. Da entdeckte er in Paris die Einkaufskooperative La Louve – und war sofort begeistert. So etwas in München zu erschaffen, das wäre was, lautete sein erster Gedanke. In Kristin Mansmann, Volkswirtin und Imkerin, und Karl Schweisfurth von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten findet er Mitstreitende für ein solidarisches Einkaufskonzept. Den dreien geht es um „faires Konsumieren, von dem beide Seiten etwas haben – Verbrauchende wie Konsumierende. Es geht um gerechte Preise und Wertschätzung für die Erzeuger, gesunde Lebensmittel, Umweltschutz und die Förderung regionaler Erzeuger“, so Orain. Zusammen gründen sie die Genossenschaft FoodHub und starten eine Suche nach geeigneten Räumen und passenden Erzeugern aus der näheren Umgebung.
Vom Land in die Stadt – die Suche nach kleinen Bio-Erzeugern
Nach zwei Jahren ist es dann so weit: 80 ambitionierte Bio-Lieferanten konnten gewonnen werden. Darunter sind unter anderem kleine Winzereien, Milchbauernhöfe oder Obstanbauer aus dem Umland. Diese hätten mit ihren eher geringen Liefermengen und ihren Preisen beim Großhandel wenig Chancen. Die Idee, ihre Waren ohne Zwischenhandel und lange Lagerung zu fairen Preisen direkt im FoodHub anbieten zu können, überzeugt sie. Im Münchner Stadtteil Obergiesing findet sich dann auch ein passender, 700 Quadratmeter großer Laden für den Mitmach-Supermarkt. Die Hälfte davon ist Verkaufsfläche. Die Einrichtung kauft die Genossenschaft überwiegend gebraucht oder bekommt Schenkungen von Supermärkten, die aufgelöst wurden.
Am 8. Juli 2021 – mitten in der Corona-Pandemie – öffnet der FoodHub endlich seine Türen. 710 Mitglieder konnte die Genossenschaft bis dahin bereits begeistern und gewinnen. Inzwischen machen beim FoodHub mehr als 1.500 Personen mit. Von der Studentin über den Schreiner bis hin zum Juristen oder Architekten ist alles dabei. Und da taucht gleich die Frage auf: Wie kann man sich beteiligen? Und wie finanziert sich das Ganze?
Wie wird man Mitglied beim Mitmach-Supermarkt?
„Jedes Mitglied muss einmalig fünf Anteile à 36 Euro an der Genossenschaft erwerben. Die 180 Euro werden dann als Einlage auf das Genossenschaftskonto eingezahlt und man ist Miteigentümer des FoodHubs und einkaufsberechtigt“, erklärt Quentin Orain. Es gibt auch einen Sozialtarif, bei dem nur ein Anteil notwendig ist. Natürlich haben Partner oder Partnerin, Eltern oder Kinder ebenfalls Zutritt zum FoodHub. Jede teilnehmende Person kann zwei weitere Personen bestimmen. „Darüber hinaus erhalten wir Gelder von stillen Teilhabern und Fördermitgliedern“, so Orain. Zum Start hat die Genossenschaft ein Darlehen von 500.000 Euro aufgenommen. Es besteht die Möglichkeit für Mitglieder, den FoodHub ebenfalls mit Darlehen zu unterstützen.
Und wie sieht es mit Personalkosten aus? Die sparen sie hier weitestgehend ein, es gibt nur vier Vollzeit-Festangestellte, denn schließlich ist der FoodHub ein Mitmach-Supermarkt. Und so muss jedes Mitglied drei Stunden pro Monat mitarbeiten – an der Kasse, beim Einräumen der Regale oder beim Schneiden der frischen Käselaibe. „Viele lieben die praktische Arbeit, weil sie sonst den ganzen Tag am Computer sitzen. Bis auf ein paar Ausnahmen sind die meisten Laien im Verkauf“, erzählt Mit-Gründer Orain. Wer möchte, kann zudem ehrenamtlich Teil der verschiedenen Teams werden, die sich um den Einkauf, die IT-Infrastruktur oder neue Teilnehmende kümmern. Auch einen FoodHub-Verein gibt es, den man mit 10 Euro im Jahr unterstützen kann und der Veranstaltungen rund um das solidarische Konzept plant und durchführt.
Faire Preise auf beiden Seiten – das Konzept des Mitmach-Supermarktes
Der Grundgedanke des solidarischen Einkaufens ist klar: Gemeinschaft statt Konkurrenz. Die Hersteller und Bauernhöfe sorgen für gesunde und faire Lebensmittel und die Mitglieder des FoodHubs sichern im Gegenzug deren Existenz. Transparenz bei der Preisgestaltung steht dabei an oberster Stelle: Da keine Zwischenhändler ihren Schnitt machen, erhalten die Hersteller und Bauern faire Einnahmen und die Käufer und Käuferinnen zahlen keine überhöhten Preise. Dadurch kann der FoodHub Lebensmittel von hoher Qualität anbieten, die insgesamt günstiger sind als anderswo. Ein gerechter Handel auf beiden Seiten und alle profitieren davon.
In herkömmlichen Läden ist die Situation meist eine andere: Während die einen vor allem Gewinn machen möchten, wollen die anderen gute Qualität zum bestmöglichen Preis. „Doch genau den sucht man vergebens, wenn man hochwertige Produkte wie Bio-Fleisch oder erntefrisches Obst und Gemüse aus der Region kaufen möchte“, sagt Quentin Orain. „Denn in herkömmlichen Supermärkten gibt es darauf oftmals einen Aufschlag von 100 Prozent. Wir haben im FoodHub einen Aufschlag von 30 Prozent auf alle Waren“, so Orain weiter. Durch diese Pauschale kommt es zu einer Balance und einem insgesamt günstigeren Einkaufspreis. „Im Ganzen betrachtet zahlen unsere Mitglieder für ihren Einkauf rund 15 bis 20 Prozent weniger als anderswo“, erklärt Quentin Orain.
Was bekomme ich alles im Mitmach-Supermarkt?
Der FoodHub bietet ein Vollsortiment. Das heißt, man kann hier alles kaufen, was man zum täglichen Leben braucht – von Brot, Butter und Bananen bis hin zur Babywindel. Und alles, was in den Regalen steht, ist möglichst bio und regional, allerdings nicht immer zertifiziert. „Es gibt beispielsweise Bauern, die auf ihrem Hof wunderbare Kirschbäume haben und uns die erntefrischen Früchte anbieten. Bei dieser kleinen Menge wäre eine Zertifizierung viel zu teuer für den Bauern. Wenn die Kirschen nicht gespritzt sind, nehmen wir sie natürlich gern. So können wir unseren Mitgliedern tolle, frische Früchte zu einem guten Preis anbieten“, erzählt Orain.
Den Mitgliedern gefällt es, dass hier jede und jeder weiß, woher die Waren kommen. Man hat einen ganz anderen Bezug dazu. Auch Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle im Mitmach-Supermarkt. Beispielsweise werden Nüsse oder große Käselaibe von den Mitgliedern portioniert und in Mehrwegbehältern abgepackt. Damit möglichst wenig Lebensmittel ablaufen, weisen „Kauf mich heute“-Schilder auf Produkte hin, bei denen die Haltbarkeit abläuft. Sollte dann doch noch etwas übrig bleiben, landet es in einer Kiste, aus der sich diejenigen, die gerade im Markt arbeiten, bedienen dürfen.
Ist der FoodHub der erste solidarische Supermarkt?
Neu ist das Konzept nicht. Bereits 1973 entstand in New York die Park Slope Food Coop, die inzwischen beinahe 17.000 Mitglieder hat. Und in Südkorea versorgt die Kooperative Hansalim (deutsch: „Bewahre alles Lebendige“) seit 1986 rund zwei Millionen Menschen. Begonnen hat Hansalim als lokaler Zusammenschluss von Bauern, die für ihre Produkte Abnehmer in den Städten suchten. Heute hat die Kooperative überall Ableger in Südkorea, besitzt eigene verarbeitende Betriebe für Soja, Reis oder Getreide und wird von fast 2.300 landwirtschaftlichen Bio-Betrieben beliefert. Damit ist sie eine der größten Genossenschaften für Lebensmittel weltweit. Nach den beiden Vorbildern entstand 2017 die französische Coop La Louve (deutsch „die Wölfin“), bei der heute rund 5.000 Menschen mitmachen.
In Deutschland ist der Münchner FoodHub der erste solidarische Supermarkt mit Vollsortiment-Supermarkt, Einkaufsgenossenschaften für Obst und Gemüse gibt es schon seit Längerem. Die Idee hat inzwischen auch andere deutsche Städte begeistert: In Berlin gibt es die SuperCoop. Hamburg (WirMarkt) und Köln (Köllektiv) wollen demnächst ähnliche Projekte starten.