Urban Farming – Gemeinschaft trifft auf städtische Landwirtschaft
„Rote Beete“, „Annalinde“ und „Ernte mich“: Diese hübschen Namen gehören drei von vielen Stadtfarmen, die in Leipzig seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden sprießen. Auf ehemals brachen Flächen wächst und gedeiht es hier kräftig: Obst und Gemüse wird in Kästen und großen Säcken angebaut, Unkraut gejätet und gegossen, aber auch in Gemeinschaft geerntet, verarbeitet und gegessen. Neben Leipzig gibt es mittlerweile in fast jeder größeren Stadt Urban Farming zum Mitmachen. Der Gemeinschaftsgarten und die gemeinsame Ernte schaffen Verantwortung und ein neues Bewusstsein darüber, was am Ende des Tages auf dem Teller landet.
Inhalt
Schafft Gemeinschaft: Urban Farming, Urban Gardening und SoLaWi
Städtisch leben und gleichzeitig regionales und saisonales Gemüse fußläufig einkaufen – das klingt zunächst wie ein Zukunftstraum. Und doch hat die Idee der urbanen Landwirtschaft schon in vielen Regionen spannende und realistische Konzepte hervorgebracht. Urban Farming geht dabei über das beliebte Urban Gardening hinaus. Letzteres umfasst das gemeinschaftliche Bewirtschaften von kleineren Flächen wie Balkonen, Schreber- oder Gemeinschaftsgärten. Urban Farming hingegen ist größer angesetzt und bedeutet so viel wie Landwirtschaft in der Stadt. Es umfasst die primäre Produktion von Lebensmitteln in städtischen Gebieten, um die Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt zu versorgen.
In eine ähnliche Kerbe schlägt die solidarische Landwirtschaft, abgekürzt SoLaWi. Eine feste Gruppe von Menschen bindet sich an einen landwirtschaftlichen Betrieb und finanziert die landwirtschaftliche Erzeugung im Voraus. Die Erträge der Ernte werden dann entsprechend dem Eigenbeitrag geteilt. Gleichzeitig tragen alle gemeinsam die Risiken wie mögliche Ernteausfälle, zum Beispiel aufgrund schlechter Wetterverhältnisse. Im Gegenzug ist die Existenz des landwirtschaftlichen Betriebs gesichert.
Wirtschaftlicher Antrieb: Vertical Farms und Indoor-Farmen
Ganz anders gestrickt sind sogenannte Vertical Farms und Indoor-Farmen. Im Vergleich zum Urban Gardening, zum Urban Farming und zur SoLaWi folgen diese einem wirtschaftlichen Interesse, und zwar meist im großen Stil. Gemeint ist hier die industrielle, nicht bodenbasierte Landwirtschaft, bei der sich um ein Vielfaches mehr Gemüsepflanzen auf gleicher Fläche anbauen lassen.
Indoor-Farming bezeichnet den Anbau von Gemüse in klimatisierten Innenräumen beziehungsweise geschlossenen Räumen. Beim Vertical Farming hingegen werden die Lebensmittel Etage für Etage in übereinander angeordneten Hochbeeten und ganzjährig bei konstanten Klimabedingungen angebaut. Dafür werden teilweise ganze Hochhäuser über mehrere Stockwerke errichtet, die überdimensionalen Gewächshäusern gleichen. Viel Ertrag, aber auch hoher Energieverbrauch, wenn man den Betrieb der Wasserpumpen und Lampen ins Visier nimmt. Für Vertical beziehungsweise Indoor-Farmen gibt es teilweise skurrile Beispiele. So ist das Sky Greens in Singapur die erste hydraulisch betriebene vertikale Farm mit mehreren hundert Türmen. In einem Londoner Luftschutzbunker wiederum wird in 30 Metern unter der Erde Gemüse angebaut.
Ursprung des Urban Farmings
Beim Urban Farming spielt der eigenverantwortliche Anbau von Nutzpflanzen zur Versorgung mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln eine zentrale Rolle. Noch viel wichtiger sind jedoch die gemeinsame Verantwortung und das gemeinschaftliche Miteinander. Geboren wurde die Idee des Urban Farmings 1973 in den USA von den sogenannten „Green Guerilla“. Sie begrünten damals leere Grundstücke in New York.
Die Beweggründe für das Urban Farming sind sehr unterschiedlich. Zum einen schwindet das Vertrauen in die industrielle Produktion von Lebensmitteln. Die Herstellung nachhaltig gesunder Nahrungsmittel spielt hier im Vergleich zu Kapitalerträgen oft eine untergeordnete Rolle. Zum anderen geht es beim Urban Farming um Klimaschutz. Insgesamt steht die Rückkehr zur Natur als Gegenbewegung auf die zunehmende Verstädterung der Welt im Zentrum der Bewegung. Menschen suchen einen natürlichen Ausgleich zum modernen Alltag und wollen den Spaten selbst in die Hand nehmen. Sie möchten selbstbestimmt ihre eigenen Lebensmittel anbauen und gleichzeitig Wissen erwerben oder weitergeben.
Urbane Landwirtschaft: Vor- und Nachteile
„Die eigene Ernte frisch und saisonal einheimisch“ – so könnte das Credo einer neuen Generation von Verbrauchenden heißen. Dabei schafft Urban Farming viele Vorteile – sowohl für die Stadt als auch für die, die darin wohnen.
- Vorteile für die Gemeinschaft: Beispielsweise sorgt Urban Farming für ein soziales Miteinander unter Gleichgesinnten. Es fördert die Bildung und die Weitergabe von Wissen rund um den nachhaltigen Anbau von Lebensmitteln. Gleichzeitig stellt es die Partizipation sicher, indem Städter und Städterinnen einen Teil ihres Lebensumfeldes mitgestalten können.
- Vorteile für die Umwelt: Für die Umwelt ergeben sich ebenso diverse Vorteile. Die vielen Grünflächen binden CO2 und bieten eine Heimat für artenreiche Insekten. Zudem reduziert das gemeinschaftliche Gärtnern und Ernten die Verpackungsflut.
Die Kehrseite der Medaille jedoch ist, dass Urban Farming keine einmalige Aktion ist. Es braucht langfristig Menschen, die die Grünflächen pflegen und sich für sie verantwortlich fühlen. Im Gegenzug sind die Initiativen in der Regel für alle ernsthaft Interessierten offen. Aktives Mitmachen ist hier also ausdrücklich erwünscht. Interessierte erkundigen sich am besten direkt vor Ort, welche Gruppen sich bereits an ihrem Wohnort zusammengeschlossen haben. Viele Aktive aus anderen Städten bieten Rat und Unterstützung bei der Gründung eines neuen Projektes.
Die Nahrung der Zukunft?
Ob und inwieweit Urban Farming unsere Nahrung der Zukunft bestimmt, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Mit Blick auf die wachsende Bevölkerung können sowohl Urban Gardening als auch Urban Farming jedoch die herkömmliche Landwirtschaft bereichern. Statistisch gesehen, werden im Jahr 2050 von den rund neun Milliarden Menschen weltweit gut zwei Drittel in Städten leben. Dadurch werden die Produktionsflächen für Nahrungsmittel in der konventionellen Landwirtschaft immer knapper werden. Viele Konzerne werden die wertvollen Agrarflächen als Spekulationsobjekte nutzen. Alternativen zur natürlichen Produktion von Lebensmitteln sind daher dringend nötig. Der gemeinschaftliche Eigenanbau und die Selbstversorgung mit Obst, Gemüse und Kräutern im städtischen Umfeld können ein Teil der Problemlösung sein. Damit lassen sich nicht nur Ressourcen und Klima schonen. Es lässt sich auch ein kleines Stück dazu beitragen, unabhängiger und gemeinschaftlicher zu werden.
Urban Farming: Diese Städte gehen mit gutem Beispiel voran
Urban Farming liegt im Trend. Leben und Arbeiten sowie Produktion und Konsum natürlicher Lebensmittel in einem Stadtraum zu vereinen, ist vielen ein großer Wunsch. Mittlerweile ist schon in vielen Städten aus der Vision Realität geworden. Wir stellen einige Beispiele aus der Praxis vor.
Urban Farming in Berlin – Einblicke in den Prinzessinnengarten
Der Prinzessinnengarten wurde einst 2009 am Moritzplatz im Berliner Stadtteil Kreuzberg gegründet. Die Vision lautete, einen Stadtgarten und zugleich einen Lernort auf einer ehemaligen Brachfläche zu errichten. So wuchs das knapp 6.000 Quadratmeter große Areal schnell zu einem Ort der Gemeinschaft heran. Unzählige Hochbeete, offene Werkstätten, Stadtbienenvölker, aber auch ein Gartencafé sowie eine Lernküche standen zur Verfügung. Damit wurde der Prinzessinnengarten zum Treffpunkt engagierter Menschen, die sich für die nachhaltige Stadtgestaltung interessierten. Seit 2020 geht der Prinzessinnengarten neue Wege und hat einen neuen Standort in Berlin-Neukölln bezogen. Auf Teilflächen des neuen St.-Jacobi-Friedhofes entsteht eine neue Form des Gemeinschaftsgartens, der sich mit rund 7,5 Hektar großer Fläche inmitten eines 100 Jahre alten Naturraums befindet. Das Kollektiv möchte damit einerseits den Ort als öffentlich zugänglichen Grünraum erhalten. Andererseits versucht es, das Urban-Farming-Projekt im Einklang mit den Bedürfnissen aller Nutzenden gemeinschaftlich wachsen zu lassen.
Im Rahmen öffentlicher Gartenarbeitstage lädt der Garten zum Mitgärtnern ein. Kinder und Erwachsene, Laien und Experten oder Expertinnen dürfen sich an der Gestaltung der Flächen beteiligen. Ziel ist unter anderem, Erfahrungen im Anbau von Nutzpflanzen auszutauschen. Zudem erhalten die Teilnehmenden Wissen rund um das Säen und Pflanzen. Auch die Themen Ernten, Gewinnung von Saatgut, Verarbeitung und Konservierung von Lebensmitteln kommen zur Sprache. Alte Kulturtechniken wie das Halten von Bienen und der Aufbau eines Wurmkomposts sollen durch das gemeinsame Ausprobieren wieder erlernt werden. Damit spannt das Kollektiv einen thematischen Bogen zwischen biologischer Vielfalt, Stadtökologie, Klimaanpassung, Recycling sowie zukunftsfähigen Formen des städtischen Lebens.
City Farm in Wien
Die City Farm in Wien befindet sich im Augarten im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Dort liegt sie in direkter Nachbarschaft zu den Sängerknaben sowie der Porzellanmanufaktur. Seit 2018 wächst hier ein städtisches Urban-Farming-Konzept, das ganzjährig Gemüsevielfalt bietet, aber auch gartenpädagogische Programme und Veranstaltungen. Von praktischen Gartenworkshops bis hin zu Gemüseverkostungen reicht das Angebot. Es wird gezeigt, wie das Gemüse aus nachhaltiger Bewirtschaftung den Weg vom Beet auf den Teller findet. Der Garten soll nicht mehr nur als privater Rückzugsort gelten, sondern wieder mehr als ein ästhetischer, entschleunigter Raum dienen. Erwachsene wie Kinder sind eingeladen, ökologische Gartenkultur mit allen Sinnen zu erleben und Wissen rund um das ökologische Zusammenspiel von Boden, Pflanze und Mensch zu erwerben, um so einen nachhaltigen Lebensstil zu entwickeln. Der kommunale Garten setzt auf eine zukunftssichere, ressourcenschonende und krisensichere Landwirtschaft und stellt ganzjährig frisches Gemüse zur Verfügung. Immer mit im Blick: bestes Gärtnerhandwerk ohne Agrarindustrie und Fremdimporte.
Pflücken erlaubt: die essbare Stadt Andernach
Wo es andernorts „Betreten verboten“ heißt, steht in der essbaren Stadt Andernach „Pflücken erlaubt“. Getreu dem Motto „Grünflächen sind für alle da“ bekommen hier seit 2010 öffentlich zugängliche Grünräume eine neue Funktion. Bewohner und Bewohnerinnen sollen sich motiviert fühlen, den Lebensraum in der eigenen Stadt aktiv mitzugestalten. Mittlerweile finden sich in den weitläufig angelegten Beeten Gemüsesorten wie Bohnen, Möhren, Obst- und Beerensorten, Salate sowie verschiedene Küchenkräuter. Der Anbau regionaler und seltener Sorten soll die Identifikation der Bürger und Bürgerinnen mit ihrer Heimat stärken. Zugleich wird dadurch die urbane Biodiversität unterstützt. Mit dem nachhaltigen Konzept der „Essbaren Stadt“ hat Andernach im Rahmen des Wettbewerbs „Entente Florale“ bereits mehrfach die Goldmedaille eingeheimst. In der Zwischenzeit haben auch Bienenstöcke die pfälzische Stadt bevölkert – und sogar Hühner und Schafe gesellen sich inmitten der Stadt dazu.
Also: Falls Sie Lust bekommen haben, beim Urban Farming mitzumachen, informieren Sie sich doch einfach bei Ihrer Stadt beziehungsweise Gemeinde über entsprechende Projekte.